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2015

Die Rebenversteher im Juliusspital

Der "Sanfte Rebschnitt" in den Weinbergen

Auf seinen Fersen gehockt sitzt Marco Simonit in einer Rebzeile im Würzburger Stein, ab und zu nimmt er eine Hand voll Erde auf, riecht, fühlt und lässt den Weinbergsboden gedankenverloren durch seine Finger rieseln. Sein Blick schweift über den Weinberg. " Wie viel Prozent der Rebstöcke denkst du haben wir in diesem Weinberg umgestellt?": fragt Marco unseren Weinbergsmeister Peter Rudloff. Kurz denkt dieser nach, sinniert über die akribische Arbeit der vergangenen zwei Jahre: "Ich denke wir sind bei mehr oder weniger 70% angelangt." Marco nimmt seinen Blick nicht von den Rebstöcken: "Schön, dass du so denkst."

Vier Jahre sind inzwischen vergangen seit Peter Rudloff zum ersten Mal nach Friaul gefahren ist. Natürlich nicht zum ersten Mal , nur diesmal eben nicht um wie üblich Kollegen und Freunde zu besuchen oder Land, Küche und Wein zu genießen. Diesmal folgt er den Spuren von "Preparatori d'Uva" (die Traubenvorbereiter). Eine neue Art des Rebschnitts, die den Weinstock vital und gesund hält. Seit diesem ersten Schritt ist viel geschehen.

„Es ist mit der Industrialisierung vergleichbar“, erklärt Martin Gojer aus dem friauler Begleitungsteam. Unmissverständlich legt er Wert auf diese Wortwahl. Begleitung, denn Beratung ist ihm fremd. Das Team von Simonit & Sirch gibt keine Ratschläge und verschwindet, sondern es geht darum, einen Weg zu begleiten. Es geht um Ausbildung. Ein Auge für die Wachstumsbedürfnisse des einzelnen Rebstockes zu entwickeln. „Irgendwann gab es das Handwerk des Schuhmachers, dann wurde die Herstellung mechanisiert und Arbeiter mussten von nun an keine Schumacher mehr sein, um an den Maschinen angelernt zu werden. "Heute kann nahezu niemand mehr Schuhe reparieren, weil es keine Schuhmacher mehr gibt“, vergleicht Martin Gojer.

Das klingt ein wenig kryptisch und das Juliusspital handelt sicherlich nicht mit Schuhen. Andererseits steckt auch Wahrheit in seinen Worten, in dem von ihm angeführten Vergleich. Auch wenn diese Überlegungen im ersten Moment unsere gestandenen Winzer und Winzermeister verwundert haben werden. Natürlich verstehen Sie ihr Handwerk und natürlich verstehen sie sich selbst als Handwerker mit Leidenschaft. Aber im Laufe der Zeit gerieten altbewährte, traditionelle Arbeitsweisen vielleicht ein wenig in den Hintergrund. Andere Handgriffe wurden vielleicht ein wenig zur Selbstverständlichkeit.

Der Mensch kultiviert und erzieht die Rebe und das seit Jahrtausenden. Der Weinbau ist nicht industrialisiert, aber die Methoden und Arbeitsweisen haben sich stark verändert oder fügten sich dem Rationalisierungsdruck mit dem Einsatz von Maschinen. Zudem, und diesen Gedanken müssen wir auch zulassen, stellt sich die Frage, ob das alte Wissen um die Bedeutung des Rebschnitts als fundamentalste Arbeit am Rebstock immer auch vollumfänglich und mit Nachdruck weitergegeben worden ist. Vor dem Hintergrund also, dass die Reben die wichtigste natürliche Ressource und Grundlage jeder Weinqualität sind, lohnt sich ein prüfender, selbstkritischer Blick auf die Qualität des eigenen Tuns.

Zu Hause brauchte der juliusspitälische Weingutsleiter Horst Kolesch nicht lange überzeugt zu werden - und das trotz der großen Aufgabe, die vor dem Team stand und steht. Immerhin sprechen wir beim Juliusspital von rund 175 Hektar Betriebsfläche. „Die Philosophie von preparatori d`uva hat mich im Innersten berührt und mich an meine Jugend- und Ausbildungszeit erinnert. Niemals werde ich die stereotypen Erklärungen meiner Ausbilder zu jedem einzelnen Rebstock vergessen: Der Zapfen ist wichtiger als die Fruchtrute. Wir müssen den Rebstock jung und gesund halten. Wir sichern vor allem Anderen erst einmal den Ertrag der späteren Jahre. Wir hören in jeden einzelnen Rebstock hinein.“ Und selbstkritisch fügt der Chef des größten Silvaner-Weingutes der Welt hinzu: „Vielleicht sind wir von ehemals verständnisvollen Reben-Gestaltern unter dem Eindruck der Mechanisierung und Rationalisierung auch ein wenig zu einfachen Reben-Abschneidern degeneriert. – Das wird sich jetzt ändern!“

Es ist Anfang März und die letzten Rebstöcke erhalten ihren Winterschnitt.

Der Rebschnitt am Ende des Winters ist wohl der größte und bedeutendste Eingriff, den wir Menschen im Weinjahr am Rebstock vornehmen. Dieser Akt der Kultivierung ist im Weinbau zwingend notwendig, ansonsten würde sich der Rebstock als Lianengewächs immer weiter in Richtung Himmel schlängeln und an der Basis allmählich verkahlen. Dieser rebtypische Drang des Wachstums stammt von den Wildreben in den Auwäldern und sicherte dem Rebstock einen entscheidenden Vorteil im Kampf um das überlebensnotwendige Licht. Auch bei unseren heutigen „frei gestellten“ Reben sorgen die hormonellen Steuerungsmechanismen noch immer dafür, dass die obersten Augen und Triebe bevorzugt mit Nährstoffen versorgt werden. Für die Erzeugung hochwertiger Trauben muss man jedoch die Rebstöcke und die grünen Sommertriebe in eine bestimmte Form erziehen. Daher benötigen wir Schnittmaßnahmen.

Der Rebschnitt fügt dem Stock verhältnismäßig große Wunden zu, da die so genannten Ruten nahe am Kopf des Rebstockes entfernt werden. Über diese Schnittflächen ist der Rebstock einerseits anfällig für Krankheiten, weil sie Bakterien und Pilze eine Zugangspforte bieten. Je größer die Schnittfläche, desto größer die Gefahr. Als Beispiel die Pilzkrankheit namens Esca bereitet dem Weinbau auch in den nördlichen Anbaugebieten seit Jahren immer größere Probleme.

Andererseits rauben wir dem Rebstock mit der herkömmlichen Art des Schnittes sehr viel seiner Energie, hat er doch seine Leitbahnen extra zur Versorgung der großen Ruten angelegt. Wir kappen diese Leitbahnen und der Stock wird gezwungen sich immer wieder neu auszurichten. Jahr für Jahr verschließt unser Rebschnitt die lebensnotwendigen Leitbahnen des Saftflusses im Inneren des Rebholzes ein wenig mehr.

Zur Wundheilung trocknet der Schnitt nach innen aus und verengt mit diesem Prozess die Leitbahn. Im übertragenen Sinn, vielleicht analog zur Anatomie des Menschen besser vorstellbar, eine hausgemachte Arteriosklerose für die Rebe.

Die Herren Simonit & Sirch haben durch jahrelange Beobachtung und den Vergleich von verschiedenen Erziehungstechniken in unterschiedlichen Weinbauländern das beschriebene Defizit erkannt und gleichzeitig eine Methode entwickelt, dem Bedürfnis der Winzer nach Kultivierung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Rebstockes gerecht zu werden.

Oberstes Ziel des Ansatzes ist es, den Rebstock möglichst ‚wundfrei‘ weiterwachsen zu lassen, die großen Leitbahnen bleiben unangetastet (die Liane). Für uns gilt es das natürliche Wachstum des Rebstockes zu erkennen und gleichzeitig zu akzeptieren, aber ihn dennoch sanft in den Rahmen der Kultivierung (Guyot) zu führen.

Soweit die Idee, weswegen dieser Grundsatz auch der ‚sanfte’ Rebschnitt genannt wird. Martin Gojer möchte eigentlich wenig über die Details der ausführenden Technik sprechen. Viel wichtiger ist es ihm den Denkansatz, die Philosophie hinter dem Schnitt, zu erläutern. Vor allem wieder ins Bewusstsein zu rufen, wie speziell unser Handwerk ist, weil es wichtig ist bei jedem Tun auf der Seite der Reben zu stehen. Daher besteht die Arbeit des Beratungsteams im Würzburger Juliusspital auch darin die Besonderheiten der einzelnen Weinberge, der angebauten Rebsorten und der seit vielen Jahrzehnten durchgeführten Erziehungsform zu erfassen. Aber jede Theorie ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Und da kommt unser Team. J. ins Spiel. Peter Rudloff war von Anfang an von der Methode überzeugt und auch Horst Kolesch ist von ganzem Herzen dabei. Aber auch alle anderen Spitäler im Weinberg sind spätestens seit der initialen, gemeinsamen Exkursion nach Friaul sensibilisiert. Es ist unverzichtbar an dem sprichwörtlichen, gemeinsamen Strang zu ziehen.

In den Weinbergen des Juliusspitals ragen nun seitliche ‚Holz-Kanäle’ an den Rebköpfen. Entstanden sind sie aus seitlich angeschnittenen Zapfen, welche nun auf den großen Saftströmen der Rebstöcke sitzen. Aus den Knospen der Zapfen erwachsen die grünen Ruten für die Trauben des Jahres und gleichzeitig dient er der Verjüngung im nächsten Jahr.

Inzwischen werden wir seit 2 Jahren von unseren Friauler Partnern Simonit&Sirch begleitet und Stock für Stock verstehen wir die Philosophie ein wenig mehr. Der Weg zum 'Rebenversteher' ist für viele von uns sicherlich noch ein langer. Jedes Handwerk braucht nun einmal Ausbildung. Dennoch ist es schön zu sehen, wie stolz die juliusspitälischen ‚Rebschneider’ auf ihre Arbeit sind, wie leidenschaftlich ein Jeder versucht, im Einklang mit dem Rebstock dessen individuellen Weg zu finden, ein Gefühl für die Eigenheit jeder einzelnen Rebe zu entwickeln.

In nicht wenigen Weinbergen des Juliusspitals stehen nun seit mehr als 435 Jahren Rebstöcke. Und wenn man Peter Rudloff mit der Handschere beobachtet, wirkt es, als hätte zur Abwechslung einmal jemand die Zeit rückwärts gedreht. Die früher eingesetzten pneumatischen Scheren stehen im Betriebshof. Handwerk wird wieder im Sinne des Wortes ausgeübt.

Und die Reben? Nun, wie so oft im Weinbau ist hier Geduld gefordert. Sicher ist, dass der verbesserte Saftfluss in der Rebe auch für die Qualität der Trauben zuträglich ist. Sicher scheint schon jetzt auch, dass unsere Reben bessere Abwehrkräfte gegen drohende Schaderreger haben werden. Kurzum, vitalere und gesündere Reben. Und wenn alles gut geht können unsere Rebstöcke somit auch älter werden, kraftvolle alte Reben. Wir freuen uns schon jetzt auf diese Weine.

Als eines der ersten Weingüter in Deutschland und zusammen mit internationalen Größen wie Braida, Chateau d'Yquem, Pichon Longueville Comtesse, Domaine Chevalier und Louis Roederer, Alois Lageder haben wir unsere Reben in die Hände der Preparatori d'Uva gegeben. Und wir haben angefangen, die Reben mit neuen Augen zu sehen.